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Archive for Februar 2014

Ein ganzer Monat Clemens Meyer

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13. Februar 2014 von

Da wollte ich eigentlich schon längst etwas geschrieben haben, über Im Stein von Clemens Meyer. Aber nein, ich habe dieses Buch noch immer nicht bis zum Ende gelesen, sondern stecke mittendrin fest und komme nur langsam voran. Das liegt nicht nur daran, dass Im Stein keine leichte Lektüre für die halbe Stunde vor dem Schlafengehen ist, sondern auch an meinem Studium (jaha, sie studiert immer noch - ein Abschluss hat ja noch nicht gereicht...).

Weil mein Blog aber nicht ganz brach liegen soll, gibt es hier eine Auflistung, welche Dinge noch dazu führen, dass mein Lesetempo schneckengleich ist:

1. Sympathie für den Autor

Im letzten Jahr war ich auf einer Lesung von Clemens Meyer. Die ist mir noch deutlich im Gedächtnis, denn Herr Meyer ist ein sympatischer Mensch. Aber sein Buch ist es nicht - wie auch, bei dieser Thematik. 
Um Im Stein aber gerecht bewerten zu können, muss ich in meinem Kopf etwas tun, was schon mal propagiert worden ist: Ich töte den Autor. In meinem Kopf natürlich. Bevor ich lese, trenne ich mich von meinem Bild vom Autor, denn das schlägt sonst quer. In diesem Fall hat es etwas gedauert...

2. Der richtige Zeitpunkt

Im Stein ist, wie bereits erwähnt, kein leichtes Buch. Es ist große Schreibkunst - das steht für mich schon fest. Nur wann genau am Tag ist der richtige Zeitpunkt um einen Roman zu lesen, der Prostitution als ökonomisches Problem, als Routinearbeit, als abstoßenes Zwischenmenschliches darstellt? Das kann ich nicht irgendwo zwischen Aldous Huxley und Aufsätzen über postkoloniale Ansätze machen. Ich muss mich frei machen von all den anderen Dingen und Im Stein meine Aufmerksamkeit widmen. Jetzt mache ich das nachmittags. Setze mich hin mit einer Tasse Kaffee. Mache meinen Computer aus, die Musik auch. Und lese, manchmal 10 Minuten, manchmal eine Stunde.

3. Überwinde die Abscheu!

Das ist vielleicht das Schwierigste bei der Lektüre dieses Buches. Manchmal muss ich es weglegen, denn hier begegnen mir Figuren, die so abstoßend sind, dass sie mich wütend machen. Oder einen Würgereiz auslösen. Ecki ist so einer. Dieser Sympathieträger macht eine Radiosendung mit dem schönen Titel "Eckis Edelkirsch", denn Ecki hatte sie alle und Ecki kennt auch die neuesten Prostituierten in der Stadt. Ein Kapitel voller Monolog, voller Freierfantasien, obszöner Wortspiele und so sexistisch, dass ich 2 Tage Abstand brauchte. Und ich bin nun nicht so zart besaitet.
Sobald sich bei der Lektüre ein Gefühl von Sicherheit oder Wohlbefinden einstellt, seid vorsichtig, denn lange kann das nicht anhalten. Gelegentlich reicht schon ein einziger Satz aus, um klarzustellen, dass es sich bei Im Stein wahrlich nicht um einen Komfortzonenroman handelt.

Ein großartiges Buch. Gebt mir noch einen Monat.


Wie ein deutscher Arzt beinahe Dänemark veränderte

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5. Februar 2014 von

Der Leibarzt Struensee kommt 1771 nach Dänemark "zu Besuch" wie es bei Per Olov Enquist so schön heißt, und beinahe hätte er die Dänische Revolution zu einem erfolgreichen Ende gebracht. In seinem Roman, der sich sehr nahe an den historischen Fakten bewegt, erzählt Enquist die erstaunliche Geschichte des Altonaer Arztes Johann Friedrich Struensee, der sich zuerst um den geisteskranken dänischen König Christian VII. kümmern soll und am Ende für die Aufklärung den Kopf hinhalten muss, lange bevor die Französische Revolution die Guillotine erfand. 

via Fischer Verlag
Dass Struensee noch heute relevant ist, liegt unter anderem an seinem Verhältnis mit der dänischen Königin Caroline Mathilde und der Tochter, die daraus hervorging: Noch heute sind Struensees Nachfahren an fast allen europäischen Höfen anzutreffen. Diese Liebe wurde dem Arzt zum Verhängnis, denn sie gab den Anlass zum Putsch durch den Emporkömmling Guldberg, der "die große Reinigung" durchführen und den alten, absolutistischen Hof wiederherstellen wollte. Die Geisteskrankheit des Königs schuf ein "Vakuum der Macht", das erst Struensee mit aufklärerischen Ideen füllte, bevor Guldberg übernahm. 

Enquist schafft es in Der Besuch des Leibarztes aus verschiedenen Erzählerpostitionen heraus jede Gefühlregung zu verzeichnen und ein genaues Bild des dänischen Hofes zu entwerfen. Struensees klaren Gedanken steht der gottesfürchtige Eifer Guldbergs entgegen. Dazwischen finden sich Passagen, in denen wir als Leser nur ahnen können, was im Kopf Christian VII. vorgegangen sein mag, dessen Verstand an seiner Erziehung zerbrochen ist. Manchmal wie ein Kind, manchmal wie ein Rasender erscheint dieser kleine Mensch, der in seltenen Momenten plötzlich zur Autorität mutiert. Und nicht zuletzt ist da noch die Königin Caroline Mathilde. Zu Beginn gerade einmal 15 Jahre alt weiß sie genau, welche ihre Rolle ist: Sie ist die "Muttersau, die gedeckt werden muss". Als Leser begleiten wir sie durch einen Findungsprozess, in dem sie nicht nur lernt, ihren Körper zu lieben und eine Sinnlichkeit zu entwickeln, die dem strengen Sittenmodell eines Guldbergs entgegensteht (er nennt sie nur "die kleine englische Hure"), sondern auch lernt, ihren Verstand zu benutzen. So ist es häufig auch gar nicht einmal Struensee, der Reformen erreichen will. Während er zögert, drängt sie ihn zu immer weitreichenderen Plänen.

Enquists Sprache ist nicht einfach und Der Besuch des Leibarztes kein leichter, unterhaltsamer Historienroman. Hier wird ein Tableau präsentiert, auf dem die Figuren sich wie auf einer Bühne bewegen und in welchem von vornherein klar ist, dass die Katastrophe unausweichlich ist. Darin liegt für mich jedoch gerade die Stärke des Buches.

Per Olov Enquist
Der Besuch des Leibarztes
Fischer-Verlag
384 Seiten


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